
Fahrradbot:innen-KV ausgehebelt
Mit Jänner 2020 war es so weit, der „weltweit erste“ Kollektivvertrag für Fahrradzusteller:innen trat in Kraft. Damit galt erstmals in der Branche ein Mindestlohn und es gab einen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Autor: Georg Erkinger (steirisches AK-Vorstandsmitglied und GLB-Bundesvorsitzender), Foto: ÖGB Tirol
Die Einigung wurde damals von Günther Reder, Obmann des WKÖ-Fachverbands Güterbeförderungsgewerbe als „ein kräftiges Zeichen einer funktionierenden Sozialpartnerschaft“ gefeiert. Für Roman Hebenstreit, dem Vorsitzenden der vida, war mit dem KV ein „enormer Schlag gegen die Scheinselbstständigkeit gelungen“.
Diese Äußerungen wirkten schon 2019 völlig überzogen. Vereinbart wurde ein Mindestlohn von 1506 Euro brutto bei einer 40-Stundenwoche. Die Umgehungsmöglichkeiten wurden nicht geschlossen. Der KV galt von Anfang an nur für den kleinen Teil der angestellten Fahrradbot:innen.
Trotz der niedrigen Löhne des Kollektivvertrages kamen die KV-Verhandlungen im vergangenen Jahr nicht vom Fleck. Der gewerkschaftlichen Forderung: „Die Löhne und Zulagen sollen um einen Wert, der einer Abgeltung der Teuerung und einem angemessenen Reallohnzuwachs entspricht, zumindest jedoch auf 2000´Euro erhöht werden“, begegnete die Wirtschaftskammer mit dem Vorwurf, die Gewerkschaft schade der ganzen Branche. Dabei entsprach diese lediglich der Mindestlohnforderung des ÖGB. Selbst bei vollständiger Umsetzung hätte die Branche eine der schlechtesten Entlohnungen in Österreich geboten.
Der Widerstand der Unternehmen in der Branche gegen eine KV-Erhöhung war jedoch nur der Auftakt. Anfang dieses Jahres verkündete Lieferando die Kündigung seiner Fahrer:innen. Eine Sprecherin des Unternehmens bezeichnete dies als Angleichung des Logistikmodells an den Branchenstandard.
Fünf Jahre nach Geltungsbeginn war also nicht der KV, sondern dessen Nichtbeachtung der Standard in der Branche. Freie Dienstnehmer:innen haben etwa keinen Anspruch auf: Mindestlohn, Sonderzahlungen, Überstundenzuschläge und kollektivvertraglich festgelegte Arbeitszeitregelungen. Weiters fallen sie nicht unter die Vertretungsbefugnis eines Betriebsrates. Es braucht daher im Arbeitsrecht dringend einen Lückenschluss.
Demnächst muss auch in Österreich die Plattformarbeitsrichtlinie der EU umgesetzt werden. Dies bietet die Möglichkeit, prekäre Scheinselbstständigkeit zu unterbinden. Durch das Lobbying der Unternehmen wurde die Richtlinie bereits verwässert und es bleibt den Nationalstaaten überlassen, ob sie diese im Interesse der Beschäftigten umsetzen. Der GLB fordert daher, dass Umgehungskonstruktionen des Arbeitsrechts verunmöglicht und wirksame Sanktionsmechanismen im Falle von Verstößen vorgesehen werden.