Etwas „systematisch“ verändern

Oliver Jonischkeit sprach mit GPA-Bundesjugendsekretär Christian Hofmann

Seit über einem Jahr befinden wir uns nun in der Ausnahmesituation einer Pandemie. Wie wirkt sich das auf das Angebot an Lehrstellen und die Qualität der Berufsausbildung aus? Schließlich sind ja auch Betriebe, die ausbilden, von Schließungen, Kurzarbeit etc. betroffen.

Es ist schwierig ein generelles Bild über die Ausbildungssituation von Lehrlingen zu zeichnen, in Bereichen wie der Gastronomie zum Beispiel ist die Ausbildung zum Erliegen gekommen, in der Industrie andererseits läuft als Beispiel im positiven wie negativen Sinne alles wie immer.

Zum Höchststand der Coronakrise waren fast 50 Prozent aller Lehrlinge in Kurzarbeit, entsprechend wichtig war die Forderung der Gewerkschaft, dass Lehrlinge in dieser Zeit 100 Prozent ihres Lehrlingseinkommens bekommen und die Pläne der Wirtschaftskammer die Lehrzeit zu verlängern an unserem Widerstand gescheitert sind.

Es braucht eine offensive Lehrstellenpolitik, ich möchte hier auf die jahrelange Forderung nach einem Ausbildungsfonds hinweisen. Betriebe, die in der Lage wären Lehrlinge auszubilden, dies aber nicht tun, zahlen in den Fonds ein und Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, erhalten entsprechende Förderungen. Es kann nicht sein, dass sich Unternehmen permanent über fehlende Fachkräfte beklagen, aber nichts in der Ausbildung tun.

Jetzt wäre die Situation, hier endlich etwas „systematisch“ zu verändern. Wir müssen außerdem über die Schulen in diesem Land reden, es ist nicht zu akzeptieren, dass so viele Jugendliche nicht mit adäquaten Fähigkeiten die Schule verlassen. Vielleicht könnten sich Unternehmen mit dem gleichen Elan wie für den 12-Stunden-Tag, auch für eine Bildungsreform einsetzen?

Es gibt ja auch die überbetrieblichen Bildungseinrichtungen für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Gibt es ein ausreichendes Angebot, wie schaut die Bezahlung aus und was sollte da verbessert werden?

Die Plätze in der überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA) wurden auf Druck der ÖGJ aufgestockt. Besonders die ÖVP hat sich hier anfangs quergelegt, obwohl wir angesichts der Coronakrise sofort gewusst haben, dass dies notwendig sein wird.

Unsere Forderungen sind klar: die Lehrlinge in der ÜBA sollen auch das 13. und 14. Gehalt bekommen und der Deckungsbeitrag zu Lebensunterhalt, wie die Geldleistung in der überbetrieblichen Ausbildung offiziell heißt, sich in Richtung „normaler“ Lehrlingseinkommen entwickeln.

Was sagt ihr zu der immer wieder auftauchenden Forderung nach Einrichtung einer „Pflegelehre“?

Im Pflegebereich gibt es bereits genug Möglichkeiten eine berufliche Ausbildung zu absolvieren mit der Pflegelehre wird eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen in einen Bereich zu kommen, der körperlich u. psychisch anstrengend und nicht entsprechend attraktiv ist.

Die Debatte um höhere Gehälter und besonders kürzere Arbeitszeiten muss wieder Fahrt aufnehmen, denn jungen Menschen wird die Work-Life-Balance immer wichtiger und hier ist der Pflegebereich wenig attraktiv.

Wer die Nachwuchsprobleme in diesem Bereich lösen will muss nicht über die Ausbildung sprechen, sondern über die Arbeitsbedingungen.

Spannend ist, dass besonders die ÖVP hinter diesem Vorhaben zur Etablierung einer Pflegelehre steht. Auch Arbeitgeber*innen haben sich hinter den Kulissen strikt gegen dieses Vorhaben ausgesprochen, allein die Gesundheitssparte der WKO steht hinter dem Modell der Pflegelehre.

Es spricht nicht besonders viel für ein Ausbildungssystem, wenn es sowohl Arbeiterkammer, Gewerkschaften wie auch die nichtkommerziellen Trägervereine nicht wollen.

Außerdem gibt es bereits akademische wie nichtakademische Ausbildungsformen für den Gesundheits- und Sozialbereich. Hier müssen teilweise monatelange Praktika absolviert werden, für die Praktikant*innen kein Geld bekommen.

Warum sind bezahlte Pflichtpraktika in Industrie und Handel möglich, im Sozialbereich aber nicht? Das wäre eine sinnvolle Debatte und nicht die Frage nach einer Lehre, die keiner will und keiner braucht.

Angesichts der nach wie vor andauernden Pandemie: welche Maßnahmen sind aus Sicht der Jugend besonders dringend und welche Forderungen dazu habt ihr?

Es gäbe so vieles zu erwähnen, aber es gäbe einige Stellschrauben: Bezahlung von Praktika im Gesundheits- und Sozialbereich, um den betroffenen Kolleg*innen eine sorgenfreie Ausbildung zu ermöglichen.

Es braucht Maßnahmen, die Jobs für junge Menschen schaffen, welche es allein am Arbeitsmarkt nicht schaffen.

Ich würde hier eine Jobgarantie andenken, dass besonders junge Menschen die länger keinen Job gefunden haben, automatisch einen kollektivvertraglichen bezahlten Job im staatlichen bzw. staatsnahen Bereich erhalten, um den Berufseinstieg zu schaffen. Außerdem sollten wir endlich darüber sprechen, einen Ausbildungsfonds für Lehrlinge einzurichten.

Christian Hofmann ist Bundesjugendsekretär der Gewerkschaft GPA

Foto: GPA-Jugend

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