Gegen die Kriegslogik

Anne Rieger über die Grazer Initiative für Frieden und Neutralität

Panzer, Schützenpanzer, Drohnen, Waffen – ihre Wirkung, ihre Einsatzmöglichkeiten, die Diskussion von Militarisierung und Kriegslogik überrennen uns. Da ist eine Veranstaltung mit hochkarätigen kompetenten Wissenschaftler*innen, die über das Wesen und die Errungenschaften der Neutralität informieren, ein herausragender friedenspolitischer Kontrapunkt.

Brunner: der mediale Strom

„Der Krieg an der europäischen Haustür lässt in dem herrschende medialen und politischen Diskurs antimilitaristische Positionen als naiv und unsolidarisch erscheinen“, brachte Claudia Brunner auf der Enquete „Aktive Neutralitäts- und Friedenspolitik in Zeiten globaler Kriege“ den herrschenden medialen Strom auf den Punkt. Die Professorin vom Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung an der Uni Klagenfurt, der Universitätsprofessor Heinz Gärtner (Vorsitzender des Beirats des International Institute for Peace) sowie Pascal Lottaz, Neutralitätsforscher und Professor für Europäische Politik an der Temple University in Tokio, entwickelten ihre Vorstellungen zur Neutralität.

Die „Grazer Initiative für Frieden und Neutralität“ hatte geladen. 120 Menschen folgten der Einladung am 10. Dezember, dem Tag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Die Enquete wurde vom Grazer Stadtsenat einstimmig unterstützt und von der Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr eröffnet. Aus Neutralität folge nicht Meinungslosigkeit, sondern das Gebot, „niemals einer Waffen- und Aufrüstungslogik zu folgen“ sei ihre tiefe Überzeugung.

Lottaz: Sechs Thesen

Lottaz stellte sechs Thesen vor: Neutralität sei immer aktiv, biete Schutz vor Solidarität mit der falschen Seite, sei nicht heroisch, sondern pragmatisch, sei ein nützliches Instrument der Außenpolitik, nicht automatisch mit Pazifismus gleichzusetzen und vor allem eine Alternative zu kollektiver Sicherheit, die auf Waffeneinsatz zurückgreife. Neutrale Staaten definierten sich nicht durch Äquidistanz zu den Konfliktparteien und Passivität. Ihre Neutralität sei allein gegen den Krieg gerichtet. Neutralität schütze vor einem Angriff besser als die Teilnahme an einem Militärbündnis; so werde Finnland durch seinen NATO-Beitritt nun zum Frontstaat. Neutrale Staaten seien jedenfalls dann am besten geschützt, wenn sie für eventuelle Konfliktparteien nützlich seien – etwa als Verhandler, Handelspartner usw.

Gärtner: Modell Neutralität

Gärtner bezeichnete die österreichische Neutralität als Modell für Vorschläge zur Friedenssicherung. Die neutralen Staaten standen außerhalb der Blockbildung und konnten so politische Spielräume entwickeln, die für das Gesamtsystem von Nutzen waren. Er verwies auf die Schlussakte der KSZE-Konferenz von Helsinki 1975. Als das zentrale Dokument der Entspannung am Höhepunkt des Kalten Krieges, wäre es „ohne die Vermittlungstätigkeit der neutralen Staaten und ohne das Engagement von Kreisky, Palme und Brandt nicht zustande gekommen.“

Gärtner setzte sich mit Argumenten auseinander, mit denen derzeit gegen die Neutralität Stimmung gemacht werde. An erster Stelle stehe dabei die Behauptung, dass niemand für unsere Sicherheit garantiere, wenn wir nicht einem Militärbündnis – konkret: der NATO – angehörten. Das sei eine rein militaristische Definition von Sicherheitsgarantien; Neutralität könne eine sehr hohe Garantie bieten, nicht angegriffen zu werden, mit der Ausnahme „sehr großer Kriege“, in denen auch neutrale Staaten wie Belgien attackiert wurden. Allerdings, so Gärtner, „bieten in so einem Fall auch militärische Bündnisse keine Garantie davor, nicht angegriffen zu werden, im Gegenteil.“

Brunner argumentierte entlang von Fragen wie: „Wie kommt es, dass das titelgebende einstige Motto der Friedensbewegung inzwischen auch in liberalen und linken Kreisen als naiv und unsolidarisch zu gelten scheint?“ „Warum hören wir seit Jahren keinen Widerspruch gegen steigende Militärbudgets, wenn man sich Ausgaben fürs Bildungswesen, Gesundheit, Armutsbekämpfung angeblich nicht mehr leisten kann?“

Bemerkenswert leichtfüßig gelinge einst linken, sich antimilitaristisch und pazifistisch gebenden Politiker* innen und Teilen der Friedensbewegung, der Spagat zwischen der Berufung auf Menschenrechte auf der einen und die Zustimmung zu bewaffneten Beteiligung an Kriegen auf der anderen Seite. Man könne dies besonders an der Debatte über die „feministische Außenpolitik“ der Bundesrepublik Deutschland ablesen.

Der Kernpunkt früherer Debatten – die Kritik an Militarismus und Krieg als Mittel der Politik – sei nun im öffentlichen Diskurs ausgespart, vielmehr sei ein „embedded feminism“ am Werk, der quasi „mit der Truppe“ unterwegs sei.

Dem hielt Brunner entgegen, das Zivile solle „der Raum der Existenzkritik des Militärischen bleiben“ und Gegenposition beziehen, dies auch angesichts der Rolle der Rüstungsindustrie.

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