Kein Erntegenuss

Cristina Tamas über die Lage der Erntehelfer*innen

Ich habe mich nicht organisiert, nichts gelernt, keine Familie zur Unterstützung, dafür eine zum Ernähren. Suche Arbeit – Tag ein, Tag aus – in Europa, denn andere Länder sind so fremd, so weit, so unerreichbar.

Der Hunger oder die Gier, der Neid, falsche Hoffnungen, der Traum von einer besseren Welt – treiben mich weit weg von meiner minderjährigen Tochter.

Ich gehöre damit zu den schlechten, unverantwortlichen Eltern, die nicht für ihre Kinder sorgen können. Ich kämpfe mit mir selbst, oder mit meinem schlechten Gewissen, mit einer Illusion? Was bin ich wert? So viel ich meinem Kind anbieten kann – kein Stück Land, wo ich das Essen selbst anbauen könnte. Aber dafür gibt es die große, gut organisierte, europäische Gemeinschaft, die es mir erlaubt mich frei zu bewegen, eine gut bezahlte Arbeit zu bekommen – aber wie finde ich die?

Hoffnung auf besseres Leben

Vom Hören-Sagen weiß ich, dass es in einigen Ländern auch so schlecht zugeht, wie bei uns, dafür brauche ich nicht in ein fremdes Land, dessen Sprache ich nicht kenne, weit weg von zu Hause, reisen. Die Arbeitsbedingungen sollen ganz mies sein: von früh bis Abend in der Hitze bücken und Erdbeeren pflücken – Felder soweit das Auge reicht – nur gute Bezahlung darf man sich nicht erwarten, denn jemand muss die Früchte schön verpacken und in alle Länder Europas transportieren, lagern, verkaufen – so billig, dass ich mir für meine Tochter auch eine kleine Schale mit schön verpackten, lang transportierten Erd- beeren leisten kann.

Angeblich sollte ich sie gar nicht kaufen, denn damit ruiniere ich die Bauern in meinem eigenen Land. Lieber würde ich diese unterstützen, keiner scheint aber meine Hilfe zu brauchen. Also muss ich doch fremd arbeiten gehen. In ein Land, wo ich menschenwürdige Arbeitsbedingungen vorfinde, wo die Bezahlung passt, nicht zuletzt, weil die Einheimischen froh sind, dass ich beim Ernten helfe.

Von wegen Win-Win

Zur Gunst der Stunde steigen die rumänischen Vermittler ins Geschäft: sie versprechen gute Bezahlung in Österreich für die Erntehelfer*innen, die nach sechs Wochen mit vollen Taschen wieder heimkehren können.

Eine Win-Win-Situation: keine Vorkenntnisse oder Fremdsprachen notwendig, Unterkunft und Verpflegung vorhanden, kurzfristig viele Arbeitsstunden, die zu einem höheren Verdienst führen, dabei ist das Geld im Heimatland etwas mehr wert.

Der Landwirt bekommt zuverlässig genügend Helfer*innen, die ganze Region eine gute Ernte und Arbeitertourismus obendrauf bzw. die Vermittler auf beiden Seiten verdienen auch für ihre Dienste. Wie es tatsächlich vorgeht, haben zwei von ca. 70 rumänischen Erntehelfer*innen in der Steiermark ausgepackt: https://www.moment.at/ erntehelfer-ausbeutung-oesterreich

Durch das Engagement der zugeschalteten steiermärkischen Landarbeiterkammer konnten die direkten Forderungen an die landwirtschaftlichen Betriebe geltend gemacht werden.

Diese haben hoffentlich gelernt und erzählen weiter, dass die kollektivvertraglich korrekte Bezahlung an die Vermittler nicht bei den Arbeiter*innen ankommt. Es ist ein schleierhafter Verstoß gegen das Sozial- und Lohndumpingbekämpfungsgesetz, das die Finanzpolizei selbst nach Anzeige nicht durchschaut, oder duldet, oder gar ignoriert.

Köstinger blockiert

Das EU-Parlament drängt auf eine Kopplung von Agrargeldern an Arbeitsrechte, doch die türkise Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, Elisabeth Köstinger wird ihrem Ruf als Lobbyistin der Agrar-Großbetriebe gerecht.

In einer offiziellen „Note“ an den EU-Rat lehnt sie den Vorschlag ab, die sozialen Rechte der Landarbeiter*innen in der EU zu stärken. (https://kontrast.at/erntehelfer-arbeitsbedingungen-koestinger/)

Es bleibt nichts über, als sich gut zu organisieren: die PRO-GE setzt sich stark für die Erntehelfer*innen ein (http://www.sezonieri.at/), für die ausbeutenden Vermittler ist die Arbeiterkammer zuständig. Der GLB fördert aktiv die Kooperation zwischen den Gewerkschaften und Kammern – das ist unsere Art Sozialpartnerschaft zu leben.

Unsere bescheidene Forderung ist die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Gesetze und wir kämpfen für die Erhaltung und Verbreitung historischer Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegungen in ganz Europa.

Cristina Tamas ist Betriebsrätin von AIT und stv. Bundesvorsitzende des GLB

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