Neoliberale Zauberwörter

Mit einigen Zauberwörtern wollen die Prediger:innen des Neoliberalismus ihre Vorstellungen eines „schlanken Staates“ durchboxen. Sie stellen Steuern und Abgaben als obszön dar und schwadronieren über höhere Einkommen, wenn diese Zahlungen gesenkt oder abgeschafft würden.

Ein solches Zauberwort ist die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Schamhaft verschwiegen wird dabei, dass diese „Nebenkosten“ gar nicht so nebensächlich sind wie behauptet. Vielmehr handelt es sich um von den Lohnabhängigen erwirtschaftete elementare Beiträge zur Finanzierung von Versicherungsleistungen für Pension, Gesundheit, Arbeitslosigkeit und Unfall oder Beiträgen für Fami- lien und leistbares Wohnen.

Ein anderes Zauberwort ist die Senkung der Abgabenquote, was als „Senkung der Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40%“ Niederschlag im Regierungsprogramm 2020-2024 der schwarz-grünen Koalition fand. Die ÖVP predigt dieses Ziel seit Jahren. Jüngst hat es die Boulevard-Presse aufgegriffen. Ganz auf Rabauken-Populismus gebürstet suggeriert die Schlagzeile „Staat kassiert kräftig ab“ (Krone, 21.1.2024), dass ein hinterhältiger und böser Staat das Volk ausplündert.

Dazu wird sogar behauptet, dass die Abgabequote gestiegen sei – obwohl die dazu präsentierte Infografik zeigt, dass seit 2000 ein Rückgang von über 45 auf 42,9 Prozent des BIP erfolgte. Schließlich erfolgten im letzten Jahrzehnt diverse Senkungen – etwa bei der Unfall- und Insolvenzentgeltversicherung, Familienlastenausgleich und der Körperschaftssteuer.

Nun liegt Österreich zwar bei der Abgabenquote über dem Schnitt der EU27 von 40,7 Prozent, ist aber keineswegs Europameister – so liegen Dänemark, Belgien und Frankreich spürbar höher. Entscheidend ist aber die Klarstellung, dass eine hohe Abgabenquote – die Steuern an den Staat und Beiträge zu der Sozialversicherung umfasst – die Grundlage eines funktionierenden Sozialstaates ist.

Erst der Sozialstaat schafft durch Umverteilung einen solidarischen Ausgleich zwischen Menschen mit geringem Einkommen und wenig oder gar keinem Vermögen einerseits und solchen mit hohem Einkommen und großen Vermögen andererseits. Dass die Verfechter der Senkung mit einem solchen Ausgleich nichts am Hut haben, zeigen sie laufend mit ihrer Blockade einer angemessenen Besteuerung von Erbschaften und Vermögen über einer Million Euro.

Der apostrophierte „böse Staat“ sind letztlich aber wir alle. Natürlich ist es legitim, die zielgerichtete und wirksame Verwendung von Steuern und Abgaben zu hinterfragen – etwa wenn das Rüstungsbudget erhöht, Milliarden per Gießkanne an Förderungen für Unternehmen vergeudet und fragwürdige Prestigeprojekte durchgeboxt werden – und entsprechend ihrer Zweckmäßigkeit und Entwicklung anzupassen. Wenn aber die in Verbindung mit der Senkung der Abgabenquote geforderte Reduzierung der Staatsausgaben verlangt wird, muss schon gefragt werden, was dabei gemeint ist. Unweigerlich blinkt dabei das Stichwort der angeblichen Unfinanzierbarkeit der Pensionen auf.

Im August werden die neoliberalen Kleingeister wieder zu ihrer populistischen Hochform auflaufen und zum „Tax Freedom Day“ zetern, dass erst ab diesem Datum die Steuerzahler:innen für die eigene Tasche arbeiten. Sorgsam unterschlagen wird dabei, dass die Elite der Gesellschaft – etwa Kapitalgesellschaften oder Millionär:innen – dank niedriger oder gar nicht vorhandener Steuersätze und „Gestaltungsmöglichkeiten“ diesen Tag schon Anfang Jänner ebenso begangen haben.

Klar ist, dass die Forderung nach Senkung der Abgabenquote auf unter 40 Prozent ein eiskaltes Crash-Programm gegen den in Jahrzehnten erkämpften Sozialstaat und gleichzeitig ein Blankoscheck zu einer noch stärkeren Umverteilung zu den „oberen Zehntausend“ ist. Zumal für die zwei größten Posten des Budgets durchwegs die Lohnabhängigen aufkommen: 2023 stammten von den 108,1 Mrd. Euro Bruttosteuereinnahmen 34,1 Prozent von der Mehrwertsteuer und 31 Prozent von der Lohnsteuer.

ÖVP-Chef Nehammer propagiert im anlaufenden Wahlkampf die ersten Wahlzuckerl: Senkung des Eingangssteuersatzes bei der Einkommensteuer von 20 auf 15 Prozent und der fünften Steuerstufe von 48 auf 40 Prozent, Senkung der Lohnnebenkosten um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr bis 2030. Die Auswirkungen sind nicht ohne: Jeder Prozentpunkt bei der Senkung der Einkommensteuer bedeutet 400 Mio. Euro weniger Steuereinnahmen pro Jahr. Die Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet ein Minus von vier Milliarden Euro (Standard, 23.1.2024).

Das von der FPÖ entlehnte Motto „Mehr Netto vom Brutto“ streut den Menschen Sand in die Augen, weil es die negativen Auswirkungen auf den Sozialstaat unterschlägt. Und alle seriösen Expert:innen stellen klar, dass bei diesen Maßnahmen vor allem Besserverdienende und Unternehmen profitieren.

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