Nicht nach der Norm wird bestraft

Vera Glassner über Alleinerziehende in Österreich

In Österreich alleinerziehend sein, bedeutet häufig Leben am Limit. Alleinerziehende, überwiegend sind es Frauen, vollbringen tagtäglich einen Drahtseilakt, um Job, Kinderbetreuung, Haushalt und den Alltag unter einen Hut zu bringen.

Tatsächlich vollbringen Alleinerziehende Hochleistungen, die gesellschaftlich aber nicht anerkannt werden. Auch rücken die Bedarfe von Einelternfamilien selten in den Blick politischer Entscheidungsträger*innen.

Einkommensarmut & soziale Ausgrenzung

Alleinerziehend leben heißt häufig auch, von Armut und Ausgrenzung betroffen zu sein. Jede zweite Einelternfamilie ist armuts- und ausgrenzungsgefährdet (EU-Silc 2021). Das bedeutet, nicht auf Urlaub fahren, nicht an Schulveranstaltungen teilnehmen oder größere Reparaturen im Haushalt finanzieren zu können.

Die Covid-19-Pandemie hat die materielle Armut von Alleinerziehenden weiter erhöht (von 32 Prozent 2019 auf 36 Prozent 2021). Fast jedes zweite Kind (48 Prozent), das in einer Einelternfamilie lebt, ist von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen – das sind mehr als 80.000 Kinder!

Gutverdienende profitieren

Laut neueren Studien sind die Kosten für Kinder, etwa für Kleidung, Wohnkosten, Schule und Freizeit, für Alleinerziehende deutlich höher als in Paarfamilien, weil sich Fixkosten (Miete, Energie) auf weniger Köpfe verteilen. Im Schnitt liegen die Kosten für ein Kind für eine Alleinerzieherin bei 900 Euro (Paarfamilien 500 Euro).

Diesen Kosten stehen öffentliche Familienleistungen (Familienbeihilfe, Familienbonus Plus) von rund 300 Euro (WIFO 2021) gegenüber. Da die Einkommen Alleinerziehender, etwa durch vermehrte Sorgearbeit als Alleinverantwortliche für die Kindererziehung und Haushaltsversorgung und deshalb geringeren Erwerbsausmaßes niedriger sind als von „Durchschnittsfamilien“, haben sie weniger von steuerlichen Familienleistungen.

Lücken im Unterhaltsrecht

Zahlt der Unterhaltspflichtige keinen oder einen zu geringen Kindesunterhalt springt der Staat mit dem Unterhaltsvorschuss ein. Dieser wird vom Unterhaltsschuldner wieder zurückgefordert. Aus Sicht der Kinder bestehen dabei aber gravierende Lücken: Ist der Vater, der den Unterhalt schuldet, etwa erwerbsunfähig oder lebt im Ausland, gibt es keinen Vorschuss. Einer Befragung zufolge erhalten 36 Prozent der Alleinerziehenden keinen oder nur unregelmäßigen Unterhalt (Statistik Austria 2021).

Auch ist die Höhe des Unterhaltsvorschusses bei Weitem zu niedrig, um die tatsächlichen Kinderkosten abzudecken. Im Durchschnitt beträgt er knapp 250 Euro. Obwohl Maßnahmen zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren umgesetzt wurden, dauert es immer noch zu lange, bis der Vorschuss bei den Kindern ankommt.

Herausforderungen am Arbeitsmarkt

Zwar arbeiten alleinerziehende Mütter häufiger Vollzeit als Mütter in Paarfamilien, da sie das Haushaltseinkommen allein erwirtschaften müssen. Doch ist der Anteil erwerbstätiger Alleinerzieherinnen von 76 Prozent 2008 auf 72 Prozent 2019 zurückgegangen (Heitzmann/Pennerstorfer 2021) – problematisch, da Erwerbsarbeit vor Armut schützt.

Mehr Erwerbsarbeit verringert die Ressource Zeit, die für unbezahlte Sorgearbeit benötigt wird (Zartler 2011). Daher sind für Alleinerzieher- innen gestaltbare Arbeitszeiten besonders wichtig. Diese arbeiten aber weniger häufig in flexiblen, selbst gestaltbaren Arbeitsarrangements als betreuungspflichtige Personen in Paarfamilien (Bergmann 2014).

Kinderbetreuung sichern

Alleinerziehende sind besonders auf eine verlässliche und leistbare Kinderbetreuung angewiesen, unabhängig ob sie am Land oder in der Stadt wohnen. Das Angebot an institutionellen Kinderbetreuungs- und -bildungsplätzen ist allerdings mangelhaft, insbesondere was die Versorgung der Unter-Dreijährigen betrifft. Besonders in ländlichen Gebieten fehlt es an Betreuungsplätzen, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit zulassen.

Ein eigenständiges und unabhängiges Leben für Frauen mit Kindern ist vielfach noch immer nicht möglich. Um das zu ändern, ist der Ausbau einer leistbaren und hochqualitativen Kinderbetreuung entscheidend. Weiters müssen Unterhaltsbemessung und -vorschuss an die tatsächlichen Kinderkosten angepasst werden. Um die Ungleichheit der Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern zu verrin- gern, ist eine Arbeitszeitverkürzung erforderlich.

Die Teuerung verstärkt Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung von Alleinerziehenden und ihren Kindern. Nicht erst Covid-19 hat gezeigt, dass Alleinerzieherinnen von Lücken im Bildungs- und Sozialsystem besonders betroffen sind und bei der Bewältigung bezahlter und unbezahlter (Sorge-)arbeit Enormes vollbringen. Die Politik bleibt säumig.

Vera Glassner ist Referentin für vergleichende Arbeitsbeziehungen und Geschlechterungleichheiten in der Arbeitswelt in der Arbeiterkammer Wien

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