Teilzeitdebatte schadet der Pflege

Die ÖVP schießt sich schon länger politisch auf Teilzeitkräfte ein. Vor allem im Sozial- und Pflegebereich ist die Quote der nicht Vollzeit arbeitenden Beschäftigten hoch. Die Debatte ignoriert Rahmenbedingungen und Ursachen.

So kritisierte kürzlich in einem Krone-Interview Ingrid Korosec, Gesundheitssprecherin der Wiener ÖVP, dass im WiGeV (Wiener Gesundheitsverbund, den öffentlichen Wiener Spitälern) fast ein Drittel des Pflegepersonals nicht Vollzeit arbeitet. Als Lösung wird vor allem Zwangs-Supervision vorgeschlagen, am besten natürlich in der bereits spärlichen Freizeit. Damit schießt der Bock den Gärtner ab. Impliziert wird, dass das Pflegepersonal durch die hohe Teilzeitquote die Patienten selbst gefährden würde und Repressionsmaßnahmen her müssen, um die Pflegekräfte zu mehr Arbeit zu bringen.

Zynismus pur

Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher hat ja bereits vor einem Jahr im KURIER vorgeschlagen, Sozialleistungen für Beschäftigte in Teilzeit zu kürzen. Die Stundenreduktion sei ein Privileg, so seine Meinung. Auch Kanzler Nehammer äußert Unverständnis, warum nicht mehr Menschen Vollzeit arbeiten, wenn sie denn zu wenig verdienen. Er beweist damit, wie wenig Ahnung in politischen Entscheidungskreisen von der tatsächlichen Problematik in Pflege und Sozialberufen herrscht. Die Teilzeitdebatte wird auf ein individuelles Bedürfnis nach Work-Life-Balance verengt. Der Kernsatz: Leistung muss sich lohnen!

Von wegen Work-Life-Balance

Von Work-Life-Balance als Ursache für Teilzeit kann bei Pflegekräften – und auch allen anderen Sozialberufen – keine Rede sein! Wie Moment.at richtig feststellt, ist die Entscheidung, Teilzeit zu arbeiten meist nicht selbstbestimmt. Es ist Tatsache, dass bei den aktuellen Arbeitsbedingungen in Pflege- und Sozialberufen viele bis zum Ende ihrer Berufslaufbahn Vollzeit nicht durchhalten können und wollen.

Dafür nehmen sie sogar Einbußen bei Lohn und späterer Pension in Kauf. Die Alternative wäre komplette Kündigung und Umorientierung. Wollen wir das? Es ist ein Klassenkampf von oben, wenn Teilzeitarbeitende als Sozialschmarotzer etc. diffamiert werden. Die moralische Abwertung von  „minderleistenden“ Personen gehört zum konservativen Image der Super-Leistungsträger:innen.

Warum so viel Teilzeitarbeit?

Laut einer Studie des ÖGKV zieht fast die Hälfte des Gesundheits- und Krankenpflegepersonal immer wieder einen Berufsausstieg in Erwägung. Das hat zum einen mit einer zu geringen Entlohnung zu tun (55 Prozent geben das als Grund an), aber auch mit den Belastungen aufgrund Personalmangels und dem daraus folgenden Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance im Sinne von: Überhaupt noch ein Leben neben der Arbeit zu haben. Auch Depressionen nehmen zu: Die Häufigkeit von Depressionen liegt bei Spitalsmitarbeiter:innen bei 47 Prozent!

Taylorisierung in der Pflege

In einer Sora-Auswertung zu den Arbeitsbedingungen in der Pflege von 2021 wird eine starke Taylorisierung im Pflegebereich festgestellt. Standardisierung und Zergliederung von Arbeitsschritten greift stark in die berufliche Autonomie von Pflegekräften ein, während diese bei Arbeitszeit und -einsatz höchst flexibel sein müssen. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen im öffentlichen und im privaten Sektor Beschäftigten. Einspringen und damit Überstunden sind bei allen Beschäftigungsformen gang und gäbe.

Pflege ist oft weiblich. Der Frauenanteil im Gesundheits- und Sozialwesen liegt lt. Rechnungshof bei 77 Prozent, wobei der Vollzeitanteil nur 36 Prozent beträgt. Nach wie vor liegt die Hauptverantwortung für Kinderbetreuung bei den Frauen. Auch hier müssen Lösungsansätze gefunden werden.

Arbeitszeitverkürzung notwendig

Klar ist also, dass die Arbeits- und Rahmenbedingungen in Gesundheits- und Sozialberufen Vollzeit nicht gerade fördern. Es braucht auf jeden Fall mehr Personal in allen sozialen Dienstleistungsberufen. Dafür müssen die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung besser werden. Damit Vollzeit attraktiver wird, ist eine generelle Arbeitszeitverkürzung, zum Beispiel – wie der GLB vorschlägt – auf 30 Stunde pro Woche bei vollem Lohnaus- gleich ein wichtiger Teil der Lösung.

Patrick Kaiser ist Krankenpfleger und Personal- vertreter im WiGeV (Klinikum Floridsdorf), GLB-Landesvorsitzender und AK-Rat in Wien

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