Antreten zur Systemrettung

Leo Furtlehner über das Marxismus-Revival des „Spiegel“

Für Lohnschreiber des Austro-Kapitals ist es pures Gift: „Die Sache mit Marx und dem ökonomischen Selbstmord“ wetterte Josef Urschitz (Presse, 4.1.1023). Der Anlass dafür war die „Spiegel“-Coverstory „Hatte Marx doch recht?“ (Spiegel, 1/2023). Ausgangspunkt dafür der Sager von Ray Dalio: „Der Kapitalismus funktioniert so nicht mehr für die meisten Menschen“. Keine überraschende Aussage – würde sie nicht vom Gründer des weltgrößten Hedgefonds mit einem Vermögen von 22 Mrd. Dollar kommen.

Schon seit Jahren fordern Superreiche eine höhere Besteuerung des großen Reichtums. Dahinter ist die Selbsterkenntnis zu spüren, dass sich der Kapitalismus mit seiner extremen neoliberalen Dynamik immer stärker selbst in Frage stellt, wenn nicht rechtzeitig die Kurve gekratzt wird: „Werden gute Dinge übertrieben, drohen sie sich selbst zu zerstören. Sie müssen sich weiterentwickeln oder sterben“ so Dalio. Eine Abschaffung des Kapitalismus – wie das Urschitz & Konsorten befürchten – ist darin nicht zu erkennen.

Fakt ist, dass „die Globalisierung zerbröselt“, sich die Welt in „feindseligen Blöcken“ verschanzt, die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinanderdriftet und die überfälligen Klimaziele verpasst werden. Ebenso, dass die Wohlstandsgewinne infolge der – bislang als Einbahnstraße zugunsten des reichen Nordens betrachteten – Globalisierung beim obersten Zehntel der Bevölkerung landen, ein „wahnwitziger Ressourcenverbrauch“ den Planeten ruiniert und die Finanzindustrie in „immer neuen Exzessen“ schwelgt. Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze dazu: „Willkommen in der Welt der Polykrise“.

Sogar die „Financial Times“ propagiert eine neue Wirtschaftsordnung und meint, dass „der Neoliberalismus von der Weltbühne abtrete“. Auch dort dürfte erkannt werden, dass ein „Klimakiller-Kapitalismus“ der auf „immer mehr Konsum, Profit, Wachstum“ getrimmt ist keine Zukunft hat, zumal im industriellen Kapitalismus „grundlegend neue Ansätze, wie wir wirtschaften, arbeiten und teilen wollen nie durchzusetzen waren“. Daher wird einem „sanfteren Kapitalismus“ der „gerechter, nachhaltiger“ ist, das Wort geredet, mit „weniger Markt, mehr steuerndem Staat und weniger Wachstum“. Sogar Japans Ministerpräsident Fumio Kishida wirbt für ein „Kapitalismus-Upgrade“.

Der japanische Philosoph Kohei Saito erinnert, dass Karl Marx schon vor 150 Jahren die Gefahren für den Planeten erkannt hat. Saito kritisiert die „Exzesse der Globalisierung“ und resümiert, dass die vom Wachstum getriebenen neoliberalen Maßnahmen wie Deregulierung und Beschneidung des Sozialstaates „soziale Gräben und Instabilität“ hinterlassen haben. Die wenig verbindlichen Nachhaltigkeitsziele der etablierten Politik seien das „neue Opium für die Massen“.

Beim Zusammenhang von Klimakrise und Kapitalismus stellen sich die Apologeten des Systems taub und blind. Daher wohl auch das Wüten gegen die als „Terroristen“ verleumdeten Klimaaktivist*innen. Erschreckend muss da wohl auch sein, wenn in den USA 49 Prozent der 18- bis 29jährigen eine positive Meinung über den Sozialismus haben, was auch immer darunter verstanden wird.

Der – nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz – entfesselte neoliberale Kapitalismus ist eigentlich schon mit der Finanzkrise gescheitert. Allerdings kann sich ein Großteil der Menschheit eher das Ende der Welt als ein Ende des Kapitalismus vorstellen. Zu tief sitzt nach wie vor – getragen von Medien und Politik – die neoliberale Hegemonie nach dem Motto „There is no Alternative“ der briti- schen Ex-Ministerpräsidentin Thatcher.

Ausgeklammert wird im „Spiegel“-Aufmacher das Privateigentum an Produktionsmitteln als Grundlage und der Zwang zum Maximalprofit als Antriebskraft des Kapitalismus. Auch wenn eingeräumt wird, dass US-Präsident Clinton und der deutsche Kanzler Schröder die Deregulierung am „schärfsten vorangetrieben“ hatten.

Hinter dem Marx-Revival steckt nicht die Infragestellung, vielmehr die Systemerhaltung des Kapitalismus wie schon der Titel „Auf die sanftere Tour“ deutlich macht. Etwa wenn sich 200 US-Konzerne nicht nur den Aktionär*innen, sondern „allen Stakeholdern“, also Kund*innen, Personal und Geschäftspartner*innen verpflichtet sehen. Sehr gelegen kommt da die britische Ökonomin Dort Shafik, welche die Geldflüsse „neu fokussieren“ will, aber „nicht über einen noch ausgeprägteren Sozialstaat“. Ganz neoliberal meint sie: „Der Staat darf nicht erst umverteilen, dann hat er bereits versagt“.

Und weil alles mit allem zusammenhängt wird also letztlich kein Weg daran vorbeiführen auch alles zugleich zu ändern, wie die deutsche feministisch-marxistische Philosophin Eva Redecker klarstellt: Die Besitzverhältnisse, die Geschlechterordnung und die „Erschöp- fung der Natur“.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit“

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