
Für eine solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung
Orignaltext Interview
Unmut bis hin zur Verzweiflung herrschen in der Steiermark, in Tirol und in Wien. Kapitalorientierte Gesundheits- und Pflegeeinrichtungs-Anbieter:innen verabschieden sich vom “heimischen Gesundheitsmarkt”. “Die Arbeit” hat die Tiroler AK-Rätin Evi Kofler und den steirischen AK-Rat Wolfgang Schwab zur aktuellen Problematik befragt.
Viele Gesundheits- und Pflegeangebote kommen von privaten Instituten: Aus sozialem Interesse, zur Unterstützung der öffentlichen Hand oder um vom “boomenden Gesundheitsmarkt“ Kapital zu schlagen?
Wolfgang: Hier muss jede Organisation einzeln und vor allem im Detail betrachtet werden. Wie ist sie international aufgestellt, was sind die Kernkompetenzen, bestehen langfristige Kooperationen und Verträge, was sind die „wahren“ Unternehmensziele? Wenn bei Pflegeheimen beispielsweise das operative Geschäft und die Immobilien als unterschiedliche Betriebe geführt werden und dann die Immobilien in Private-Equity-Fonds mit deutlicher Gewinnabsicht an Anleger:innen verkauft werden, dann ist davon auszugehen, dass es hier vorrangig um Immobiliengeschäfte geht und nicht um das Betreiben kritischer sozialen Infrastruktur: sprich ein Pflegeheim.
Wie das ausgehen kann, haben wir im Pflegeheim „Rosengarten“ in Bad Sauerbrunn (Burgenland) gesehen. Hier wurde Ende 2023 Insolvenz angemeldet, obwohl im Vorjahr noch 2,3 Millionen Euro Gewinn an die Betreibergesellschaft ausgeschüttet wurde. Der Besitzer der Immobilie ist die deutsche Lindenhorst Gruppe, die erst 2021 die Liegenschaft von der Betreibergesellschaft gekauft und an diese wieder zurück vermietet hat. Die Einnahmen des Pflegeheims wiederum kamen aus den einheitlichen Tagsatzzahlungen des Landes Burgenland, sprich öffentliche Gelder. Was ist also passiert? Die 51 Menschen mussten kurzfristig woanders untergebracht werden, die Immobilie gehört einer deutschen Gruppe, der Betreiber ist insolvent und die öffentlichen Gelder wurden in private Gewinne umgewandelt. Das alles auf Kosten von alten und pflegebedürftigen Menschen. Ein schäbiges und unethisches Business.
Wenn Gesundheitskonzerne mit Gewinnabsicht private Leistungen anbieten, die privat bezahlt werden und damit durchaus auch das öffentliche Gesundheitssystem entlasten, dann ist das legitim und eine sinnvolle Ergänzung. Wenn aber öffentliche Gelder auf dem Rücken von alten und kranken Menschen in Gewinne umgewandelt werden, dann haben wir ein gesellschaftliches Interesse das zu unterbinden.
Evi: Ich würde gerne sagen, dass es sich um soziale Interessen und die Unterstützung der öffentlichen Hand handelt. Aber, anders als bei vielen gemeinnützigen Einrichtungen, scheint gerade bei Internationalen Instituten Gesundheit immer mehr zum Geschäftsmodell zu werden. Wir konnten hier in den letzten Jahren immer wieder den Weiterverkauf oder die Schließung von bestimmten Geschäftsbereichen beobachten. Eine Entwicklung, die deutlich macht, wie fatal es ist, wenn zentrale Bereiche der Daseinsvorsorge – wie Pflege und Betreuung – privaten Profitinteressen überlassen werden.
In der Steiermark schlägt gerade der Verkauf der Senecura hohe Wellen.?
Wolfgang: Zum geplanten Verkauf der SeneCura gibt es wenig gesicherte Informationen, außer dass die Schweizer UBS Bank mit dem Verkauf beauftragt wurde. Die Heime werden derzeit uneingeschränkt weiter betrieben. Man sieht hier allerdings deutlich, wie abhängig sich die öffentliche Hand von privaten, gewinnorientierten Pflegeheimbetreibern gemacht hat. In der Steiermark werden derzeit mehr als die Hälfe aller Heime so geführt. Wie im Burgenland gibt es in der Steiermark eine Abrechnung in Tagsätzen und diese sind für öffentliche, gemeinnützige und gewinnorientierte gleich hoch. Irgendwo müssen die Gewinnorientierten hier noch Geld herausschlagen, welches in den anderen Einrichtungen bei den Bewohner:innen und Beschäftigten eingesetzt wird. Für die Gesundheitsversorgung in der grünen Mark heißt das aber vor allem eines: Marktmacht der privaten Gewinnorientierten. Sie können jederzeit bessere Bedingungen „erpressen“; als Alternative bliebe der Steiermark nur die Heime alle selbst zu betreiben (bzw. die Kommunen) oder zuzusperren. Eine gefährliche Situation der Abhängigkeit bei kritischer sozialer
Infrastruktur.
In Innsbruck soll der VITALITY Seniorenresidenz Veldidenapark saniert werden und die VAMED care, nutzt die Gelegenheit, sich von der Einrichtung zu trennen?
Evi: Im ersten Schritt vor allem mit dem kurzfristigen Vorgehen, die fehlenden Informationen und die damit einhergehenden Unsicherheit. Das ist sowohl aus menschlicher, wie auch aus sozialer Sicht untragbar. Pflege ist keine Produkt, sondern lebt von Beziehung, Vertrauen und Beständigkeit – für die Bewohnerinnen und Bewohner ebenso wie für deren Angehörige und die Mitarbeiter:innen. Sein Zuhause aufzugeben bzw aufgeben zu muss, um ins Heim zu ziehen, ist alles andere als einfach. Möglichst nah am ursprünglichen Wohnort bleiben zu können, ist dabei ein wichtiger Faktor. Die gleiche Umgebung, bekannte Wege und der Kontakt zu Familie und Freunden kann sowohl den sozialen Rückzug verhindern, als auch die Mobilität erhalten.
Welche Alternativen seht ihr generell?
Evi: Es braucht ein klares politisches Bekenntnis für die Zukunft: Pflege und Betreuung dürfen nicht dem Markt überlassen werden. Sie sind eine gesellschaftliche Aufgabe. Investitionen in die Sicherung und den Ausbau des Soziales Netzes sind dringend notwendig. Wer hier spart, spart auf Kosten von Menschlichkeit und Würde – das dürfen wir nicht zulassen.
Das kränkelnde System braucht endlich einen Vitaminboost. Das bedeutet die längst überfälligen Veränderungen für die Mitarbeiter:innen im Gesundheits- und Sozialbereich in die Wege zu leiten. Arbeitszeitverkürzung, faire Entlohnung und verbesserte Arbeitsbedingungen sind die Grundlage für die Entlastung derer, die sich um Kranke bzw Pflegebedürftige kümmern.
Wolfgang: Das öffentliche Gesundheitssystem muss öffentlich, bzw. von und in Zusammenarbeit mit NGO’s betrieben werden. Hier gibt es viel Erfahrung bei gemeinnützigen Trägern, die seit vielen Jahren Großteils skandalfrei arbeiten (Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Lebenshilfe, Hilfswerk, Rotes Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und viele mehr). Öffentliche Gelder dürfen nicht als Gewinne in Konzernen landen, sie gehören in die solidarisch finanzierte Gesundheitsversorgung.
Selbstverständlich sollen private Organisationen gegen private Finanzierung Dienstleistungen anbieten können, auch als Entlastung für das öffentliche System. Hier muss den Kund:innen allerdings klar sein, dass sie im Auge der Organisation Einnahmen darstellen, die optimiert werden wollen, siehe, hohe Kaiserschnittraten in Privatkliniken (besser plan- und kalkulierbar als natürliche Geburten).