„Der freie Arbeitnehmer“

Georg Erkinger über die Situation der Fahrradbot*innen

Seit einem Jahr gibt es für Fahrradbot*innen einen eigenen Kollektivvertrag. Nun wurde dieser neu verhandelt und eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 2,2 Prozent vereinbart. Das größte Problem der Branche bleibt jedoch ungelöst.

Zwei Fahrten zu je 3,24 Euro brutto in der Stunde garantiert der vorliegende Freie Dienstvertrag dem Fahrradboten, der für einen der größten Essenslieferdienste arbeitet. Die Freiheit des Dienstvertrages besteht vor allem darin, dass der Bote das gesamte wirtschaftliche Risiko trägt. Stark schwankende Arbeitszeiten und auch innerhalb dieser Zeiten schwankende Einkommen machen es möglich, Essenszustellungen zu Niedrigpreisen anzubieten und trotzdem noch Gewinne für die Unternehmen zu erwirtschaften.

Freie Dienstnehmer sind dabei theoretisch weder an Weisungen noch an Arbeitszeiten gebunden. Auch müssen sie ihre Arbeitsleistung nicht persönlich erbringen. Sie können sich vertreten lassen, indem sie eine dritte Person bei der Krankenkasse anmelden und deren Entlohnung übernehmen. So zumindest die Theorie.

Freilich wer selbst nur 6,48 Euro brutto pro Stunde garantiert bekommt, wer Fahrrad und Handy selbst stellen muss und wer dafür statt des amtlichen Kilometergeldes nur eine mickrige Pauschale bekommt, der wird schwerlich einen Subauftragnehmer oder eine Subauftragnehmerin für seine Arbeit finden.

Vor allem Schein

Und so bieten diese Arbeitsverhältnisse vor allem den Anschein von Selbstständigkeit. Sie werden mit flexiblen Arbeitsmöglichkeiten beworben, doch gearbeitet werden kann nur, wenn auch Nachfrage besteht. Fahrer*innen werden in Konkurrenz zueinander gesetzt und müssen sich um die besten Arbeitszeiten raufen. Obwohl sie als freie Dienstnehmer*innen Arbeiterkammermitglieder sind, bekommen sie keinen bezahlten Urlaub und auch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Einkommen schwanken von Monat zu Monat und auch die Regelungen des Kollektivvertrages greifen für freie Dienstnehmer nicht.

Kein leichter Job

Dabei handelt es sich bei der Tätigkeit als Fahrradbote um eine Tätigkeit, die durchaus Gefahren mit sich bringt, immer wieder gibt es Verletzte. Fabian Dankl, Betriebsrat bei Pink Pedals, einem Grazer Fahrradbotendienst, spricht hier neben den Gefahren des Straßenverkehrs auch das Thema Corona an. Vor diesem Hintergrund hätte er sich auch für Fahrradboten eine Corona-Prämie gewünscht. Denn auch in seinem Job gab es in Zeiten von Corona ein erhöhte Ansteckungsrisiko durch die berufsbedingt vielen Kontakte zu anderen Menschen und vieles was transportiert wurde sei systemrelevant.

Es geht auch anders!

Bei seinem Arbeitgeber den Pink Pedals und einigen anderen klassischen Fahrradbotendiensten bietet sich ein anderes Bild als bei den Großen der Branche. Die Pink Pedals entstanden quasi als Zusammenschluss von ursprünglich selbstständigen Fahrerinnen und Fahrern. Aufgrund rechtlicher Vorgaben wurde die Pink Pedals OG gegründet.

Die Pink Pedals transportieren in Graz Medikamente, medizinische Proben, sie transportieren zwischen Zahnärzten und Zahnlaboren. Ihre Tätigkeit erfordert oft Expresszustellung. Schnelligkeit und Zuverlässigkeit sind dabei wichtiger als bei Essenszustellern, denn die Konsequenzen von Verzögerungen sind in ihrem Geschäftsfeld schwerwiegender als ein lauwarmer Burger zum Mittagessen.

Dennoch sind alle Fahrer*innen angestellt. Für sie gilt der Kollektivvertrag und damit wurden die Löhne und Gehälter mit Jahreswechsel um 2,2 Prozent erhöht. Davon können die zahlreichen scheinselbstständigen Freien Dienstnehmer in der Branche nur träumen, für sie greifen die Vereinbarungen des Kollektivvertrages nicht. Angestellt bedeutet jedoch nicht zwingend unflexibel und schließt es auch nicht aus, dass in der Branche, in der zahlreiche Student*innen jobben, nicht auch auf die Bedürfnisse der Beschäftigten bei der Arbeitszeiteinteilung Rücksicht genommen werden darf. Dankl spricht hier die im KV verankerte Möglichkeit von Durchrechnungszeiträumen und die damit verbundene Möglichkeit in einzelnen Wochen weniger zu fahren an.

Kein Ende des Booms in Sicht

Während die Corona-Krise in der Gastronomie und im stationären Handel zu Einbrüchen geführt hat, boomt die Zustellung von Waren aller Art. Vor diesem Hintergrund vollzieht mjam den nächsten logischen Expansionsschritt. Nicht mehr nur Essen, sondern Waren aller Art werden zugestellt. In Wien ist man bereits mit einem Onlinesupermarkt mit rund tausend Artikeln gestartet. Das Angebot soll auf weitere Städte ausgerollt werden. Es mag zwar stimmen, dass die Lieferung CO² neutral erfolgt, damit sie aber nicht mehr auf dem Rücken der Beschäftigten erfolgt, braucht es dringend eine Verschärfung des Arbeitsrechtes.

Regierungsprogramm bietet Ansatz

ÖVP und Grüne haben im Regierungsprogramm vereinbart, dass es zu einer Neuregelung in der Abgrenzung zwischen Dienstverhältnissen und Selbstständigkeit kommen soll. Auf Missbrauchsfälle im Bereich der Scheinselbstständigkeit sei ein besonderes Augenmerk zu legen. Freilich ist bisher in diesem Zusammenhang nichts geschehen. Damit endlich etwas passiert und die Regelungen zum Vorteil der Beschäftigten ausfallen, braucht es hier Druck von Seiten der Gewerkschaften.

Georg Erkinger ist GLB-Bundesvorsitzender und Arbeiterkammerrat in der Steiermark

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