Ein Widerspruch in sich?

Am 9. Juni finden wieder die Wahlen zum Europäischen Parlament statt – dabei werden auch die 20 österreichischen Abgeordneten gewählt. Wurde die EU früher gerne als „Friedensprojekt“ dargestellt, ist es um diesen Begriff inzwischen still geworden.

So sind allein in den letzten zehn Jahren die Militärausgaben der NATO-EU-Länder um fast 50 Prozent gestiegen – von 145 Milliarden Euro 2014 auf 215 Milliarden Euro 2023. Diese Summe ist größer als das jährliche Bruttoinlandsprodukt von Portugal. Laut Bericht der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) haben die Militärausgaben der EU-Mitgliedsstaaten 2022 mit insgesamt 240 Milliarden Euro eine Rekordhöhe erreicht. Zwischen 2018 und 2022 hat sich die Einfuhr von Waffen in die EU verdreifacht, Haupteinkaufsland sind die USA.

Italiens Außenminister Antonio Tajani spricht sich bereits für eine eigene Armee der Europäischen Union aus. Österreichs General Robert Brieger, seit 2022 Vorsitzender des Militärausschusses der EU, berichtet vom Ausbau der EU-Battlegroups zu einer raschen Eingreiftruppe mit 5.000 Mann, die ab 2025 einsatzbereit sein soll. In erster Linie für Einsätze außerhalb Europas und komplementär zur NATO. Ziel sei es, auch in feindlicher Umgebung im Krisenmanagement tätig zu sein – mit Konfliktprävention, Evakuierungen, humanitärer Hilfe, Stabilisierungseinsätzen – bis hin zur Friedensdurchsetzung (Profil, 20.1.2024).

Ganz offensichtlich geht es um weitere Aufrüstung und die Finanzierung der Rüstungskonzerne mit unseren Steuergeldern. Auch in Österreich – während hier das Geld für die Pflege und Daseinsvorsorge fehlt. Der GLB hat in der Vollversammlung der Wiener AK gefordert, auf die für die Aufrüstung des Bundesheeres mit Panzern, Hubschraubern, Abfangjägern und ähnlichem Kriegsgerät zu verzichten und dieses Geld für die Daseinsvorsorge, beispielsweise für den Bereich Pflege und Gesundheit, zu verwenden. Dieser Antrag wurde (nicht nur) von der dominierenden SP-Mehrheit abgelehnt.

Sozialunion Europa?

Sogar eine „Eurobarometer-Umfrage“, 2023 von den EU-Institutionen veröffentlicht, kommt zum Schluss, dass Armut und soziale Ausgrenzung die EU-Bürger:innen beschäftigt. Für 36 Prozent der 26.523 Befragten hat dieses Thema oberste Priorität, gefolgt von der öffentlichen Gesundheitsversorgung (34 Prozent). 73 Prozent der Befragten erwarten, dass sich ihre Lebensbedingungen heuer verschlechtern werden.

Auch wenn es einzelne Bereiche gibt, bei denen Fortschritte erzielt werden – etwa bei der allerdings abgeschwächten eben beschlossenen Richtlinie für Plattformarbeit oder der Mindestlohn-Richtlinie – ist die EU weit von einer „Sozialunion“ entfernt. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat bereits 2019 festgehalten, dass es eines ihrer Ziele ist, „gesetzliche Belastungen“ für Unternehmen und Menschen zu reduzieren.

Die Erfüllung von Unternehmenswünschen dürfte für die EU-Kommission auch weiter oberste Priorität haben. Wie es mit der Demokratie bestellt ist, zeigt der Ausschuss für Regulierungskontrolle. Dieses Gremium kann einen Gesetzesvorschlag der Kommission bewerten, bevor er überhaupt dem Parlament und dem Rat vorgelegt wird und auch wieder an die Kommission zurückverweisen.

Helene Schuberth, Leiterin des Referats Volkswirtschaft im ÖGB, warnt auch, dass 2025 neue EU-Fiskalregeln wirksam werden, die für Österreich einen Konsolidierungsbedarf von 1,2 bis 2,3 Milliarden Euro bedeuten. Wenn es nicht gelingt, die Vermögenden auf der Einnahmenseite stärker in die Verantwortung zu nehmen, werden weitere Einsparungen die Folge sein – und die sozialen Sicherungssysteme in Gefahr sein.

Union der Menschenrechte?

Das wohl ohnehin nicht – die „Festung Europa“ will sich abschotten, erst im April wurde eine Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) beschlossen. Diese Reform sorgt für verpflichtende Asylschnellverfahren unter Haftbedingungen in Lagern an den EU-Außengrenzen. Özlem Alev Demirel, EU-Abgeordneter der deutschen Linkspartei, dazu: „Das Asylrecht abzuschaffen in einer Zeit, wo immer mehr Kriege um sich greifen, zeigt, in was für einem Europa wir uns befinden. Denn es sind Waffen und Kriege aus der EU, die die Menschen ihrer Heimat berauben.“

Immerhin, in verschiedenen Staaten der EU ist ein Anstieg sozialer Kämpfe zu erleben, in denen die Arbeiter:innenbewegung auf europäischer Ebene gegen multinationale Konzerne handelt, etwa bei Ryanair oder Amazon. Zudem ist eine Stärkung klassenorientierter Gewerkschaften in Europa zu beobachten. Deren Vernetzung, gemeinsame Aktionstage und mehr gibt Hoffnung für die Zukunft.

Oliver Jonischkeit ist Bundessekretär des GLB und AK-Rat in Wien

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