Frauenpolitischer Vertragsbruch

Anne Rieger über das Pensionsalter

Bislang können Frauen mit 60 in Pension gehen. Ab 2024 soll es eine schrittweise Anhebung des Eintrittsalters geben, die mit 60,5 Jahren ab dem Jahrgang 1964 beginnt. Frauen ab Jahrgang 1968 dürfen dann erst mit 65 in Pension gehen. Ein frauenpolitischer Vertragsbruch, denn im Gleichbehandlungspakt von 1992 wurde vereinbart, dass es ohne komplette Gleichbehandlung der Frauen keine Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters geben darf.

Gesamtschau aus Frauensicht

Seit 1956 lag das gesetzliche Pensionsantrittsalter der Frauen bei 60, jenes der Männer bei 65 Jahren. Der Verfassungsgerichtshof entschied 1990, dies widerspreche dem „Gleichheitsgrundsatz“. Heftige Kritik folgte. Frauenministerin Johanna Dohnal forderte eine „Gesamtschau“ der aus Frauensicht notwendigen Mindestvoraussetzungen vor einer Angleichung des Pensionsalters.

Die ÖGB-Frauen forderten in Flugblättern „Keine Verschlechterung für unselbstständig erwerbstätige Frauen“. Sie formulierten in einem – im Dezember 1990 der Bundesregierung übergebenen – Papier für die Gleichstellung in Beruf und Gesellschaft, gleiche Aufstiegschancen, Sicherung der Arbeitsplätze von älteren Arbeitnehmerinnen sowie die Berücksichtigung der Belastungen der Familien- arbeit bei den Pensionsanrechnungs- zeiten.

Beim ÖGB-Frauenkongress 1991 „überraschten“ sie Kanzler Vranitzky mit 70.000 Postkarten: „Gleiches Pensionsrecht für Frau und Mann NUR bei völliger Gleichstellung der Frauen in Arbeitswelt, Familie und Gesellschaft“. Frauenorganisationen verhandelten das rund 50 Punkte umfassende Paket. Die Forderung war klar: „Ohne komplette Gleichbehandlung darf es keine Anhebung des Frauenpensionsalters geben“. Im Dezember 1992 stand der Gleichbehandlungspakt. Die Anhebung werde ab 2024 erfolgen, die Erhöhung dürfe erst nach vollkommener Gleichbehandlung erfolgen.

Offene Forderungen

Der Gleichbehandlungspakt war ein Zwischenerfolg. Die Liste von Regelungen ist lang: Rechtsanspruch auf Gratiskindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr, bundeseinheitliche Regelung in Elementarpädagogik und Kinderbetreuung, Anrechnung von Kindererziehungszeiten bis zu acht Jahren auf die Pensionszeit und – gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit.

„Obwohl in den letzten Jahren Verbesserungen umgesetzt und dadurch die geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede verringert werden konnten, zählt Österreich nach wie vor zu den EU-Ländern mit dem größten Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern“, so das Bundeskanzleramt. Der Gender Pay Gap in Österreich lag laut Eurostat 2020 bei 19 Prozent deutlich über dem EU-27 Schnitt von 13 Prozent.

Übertritt aus der Arbeitslosigkeit

Beim Equal Pension Day 2022 wurde festgestellt, dass Frauen eine um 41 Prozent niedrigere Pension als Männer erhalten. Unzureichende Altersversorgung ist Ergebnis typischer Frauenerwerbsverläufe. Die Einkommens- und Karriereentwicklung von Beginn des Berufslebens an ist geprägt durch Familienarbeit verbunden mit Teilzeit, gläserner Decke und oft eingeschränkten Berufswünschen.

Diese Diskrepanz wird durch ein höheres Antrittsalters nicht ausgeglichen. Schlechte Erwerbschancen für Frauen der Generation 50plus und sinkende Chancen bei der Wiedereingliederung nach Jobverlust oder Erwerbsunterbrechung durch Familienarbeit lassen Frauen oft ab Mitte 40 auf einem beruflichen Abstellgleis landen.

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