Service genügt nicht

Leo Furtlehner über den Stellenwert der Arbeiterkammer

Nach einer grundlegenden Reform in den 1990er Jahren – Stichwort Rechberger-Skandal – gilt die Servicefunktion der Arbeiterkammer heute als musterhaft. Das verdeutlicht die Leistungsbilanz der AK als gesetzliche Interessenvertretung der Lohnabhängigen.

2022 wurden 2,16 Millionen Beratungen zu Entlohnung, Sozialversicherung, Steuer, Konsument:innenschutz, Wohnen, Teuerung und Diskriminierung durchgeführt, davon 322.055 persönlich, 1,6 Millionen telefonisch und 220.760 per E-Mail. Spitzenreiter dabei waren 1,4 Millionen zu sozial- und insolvenzrechtlichen Anliegen, gefolgt von 400.000 zum Konsument:innenschutz und 250.000 in Steuerangelegenheiten (arbeiterkammer.at, 26.4.2023)

Damit konnte die AK satte 495 Mio. Euro erkämpfen. Zusätzlich übernahm die AK 64.000 Rechtsvertretungen, bezahlte 40.000 Bildungsgutscheine aus und begutachtete 1.500 Gesetze und Verordnungen. 14 Millionen Mal wurde der Brutto-Netto- Rechner der AK genutzt, drei Millionen AK-Ratgeber bestellt, 250.000 Menschen nahmen an Veranstaltungen der AK teil.

Basis für diese umfangreiche Tätigkeit sind die Mitgliedsbeiträge der 3,95 Mio. Mitglieder (davon 740.000 vom AK-Beitrag befreit), 2022 waren das bundesweit 565 Mio. Euro. Kein Wunder, dass die Gegner der Arbeiterkammer immer wieder versuchen, die Axt bei der Kammerumlage anzulegen.

Bei Umfragen über das Vertrauen in diverse Institutionen steht die AK durch ihre Servicetätigkeit regelmäßig an der Spitze. Für ihre politische Funktion trifft das allerdings weniger zu, zu sehr ist nämlich die Führung der Arbeiterkammern in den Mechanismen der Sozialpartnerschaft verfangen und sucht den Kompromiss mit der Wirtschaftskammer, zu oft auf Kosten der AK-Mitglieder.

Seit 2019 hat sich das Verhältnis zur Regierung entspannt. Unter der im Mai 2019 am Ibiza-Skandal gescheiterten schwarz-blauen Regierung wurden der AK die Kürzung der Kammerumlage angedroht, die Vertretungen der Lohnabhängigen in der Sozialversicherung entmachtet, der 12-Stundentag durchgeboxt und die Sozialhilfe verschlechtert. WKO-Boss Mahrer hatte sogar protestierende Gewerkschafter als „Gegner der Republik“ bezeichnet (Standard, 22.6.2023).

Die schwarz-grüne Koalition hat freilich keine dieser Verschlechterungen zurückgenommen. In den Corona-Jahren suchte sie den „Schulterschluss“ mit AK und ÖGB, etwa bei der Kurzarbeit und es war „sozialpartnerschaftliche Expertise gefragt“. Aktuell zeigen sich die Differenzen bei der Bekämpfung der Teuerung: Während die Regierung diese mit willkürlichen Geldspritzen bekämpfen will, setzen AK und ÖGB auf wirksame Preisregelungen und Mietendeckel.

Direkte Attacken auf die AK bleiben den NEOS vorbehalten, deren Abgeordneter Gerald Loacker als „Kammerjäger“ abgefeiert wird (Presse, 8.4.2022). Die Neoliberalen möchten die Interessenvertretung der Lohnabhängigen vom „Kammerzwang“ – nämlich der Pflichtmitgliedschaft – „befreien“ und die finanzielle Grundlage der AK madig machen. Etwa mit der Forderung die 527 Mio. Euro Rücklagen der AK – quasi als Bonus oder Dividende – an die Mitglieder auszahlen.

Die SPÖ wurde 2017 in die Opposition gedrängt und war bis zur Wahl Bablers als neuen Parteichef vorwiegend mit sich selbst beschäftigt. Die Oppositionsrolle bedeutet für die traditionell sozialpartnerschaftlich orientierte FSG-Mehrheit in ÖGB und Arbeiterkammern den schmerzlichen Verlust direkter Einflussname auf die Regierungsgeschäfte, etwa dass üblicherweise Sozialminister:innen aus Gewerkschaftskreisen nominiert wurden.

Andererseits brachte die Oppositionsrolle der SPÖ für ÖGB und AK auch einen deutlich größeren Spielraum und eine – wenn meist auch nur verbale – Radikalisierung im weiterhin stattfindenden Klassenkampf. An Babler als SPÖ-Chef gibt es hohe Erwartungen, zeigt sich aber auch, dass die FSG in ÖGB und AK eine eigene Agenda verfolgt. Das machen Divergenzen zu Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn und Migration deutlich.

Der Schwachpunkt für eine wirkungsvollere Durchsetzung der Interessen der Lohnabhängigen ist die über Jahrzehnte entwickelte sozialpartnerschaftliche Fixierung der Führungen von ÖGB und AK, laut AK-Präsidentin Renate Anderl „ein Dream- Team“ (OTS0153 22.6.2023): „Wenn Interessenvertreter vernünftiger sind als Volksvertreter“ streut das führende Blatt des Austro-Kapitals dem ÖGB – und damit auch der AK – demonstrativ Rosen (Presse, 21.6.2023). Hingegen attestierte der Politologe Ferdinand Karlhofer der Gewerk- schaft „Sie ist immer hintennach“ (Standard, 22.6.2023).

Während also der Klassenkampf von oben mit zunehmender Schärfe geführt wird, benutzt ihn die FSG höchstens als Aufstachelung bei Gewerkschaftskonferenzen, wie der neue FSG-Chef Josef Muchitsch, während hinter den Kulissen das Verhältnis zur Regierung „weitaus besser als zu türkis-blauen Zeiten“ und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher „nicht als Hardliner“ eingeschätzt wird.

Leo Furtlehner ist verantwortlicher Redakteur der „Arbeit

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