Tiroler Adler zum Absturz bringen

Thomas Hörl über die Kumpanei von Kapital und Politik

Manchmal ist die Welt nicht so wie im Bilderbuch. Im Falle von Tirol schon. Zumindest ein vulgärmarxistisches, denn das Kräfteverhältnis im Alpenbundesland ist dominiert von einer Kapitalfraktion, genannt die Adlerrunde, die verwoben ist mit dem Tiroler Tourismus.

Sehr zum Leidwesen der Lohnabhängigen. Besonders hervorgetreten ist diese Wirkmächtigkeit dieser Vereinigung in der Corona-Krise. Aber auch schon davor.

Eine Schnittstelle

Tirols Kapitalist*innen sind nämlich eng verstrickt mit der Landes-, aber auch der Bundespolitik. Zwar nennt sich die Adlerrunde politisch unabhängig, möchte aber eine Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft sein. Dies zeigt sich vor allem in der Einflussnahme der Konzernchefs. Am 1. Juli 2017 platzierte die Adlerrunde ein Inserat zur 60-Stundenwoche in der „Tiroler Tageszeitung“. Eine Wahl und 1,1 Mio. Euro Parteispenden an die ÖVP später wurde diese von der Bundesregierung umgesetzt.

Wer in Tirol mit dem Geld zu tun hat, ist meist vom Tourismus nicht weit entfernt. Mehr als die Hälfte der Adlerrunde hat mit dem Tourismus zu tun, also mit Bergen, Liften, Menschen und Schmankerln. Fast jeder vierte Arbeitsplatz in Tirol hängt am Tourismus, auf jede*n Tiroler*in kommen 13,8 Nächtigungen pro Jahr. Jeden Tag geben Wintergäste im Schnitt 186 Euro aus – Tirol erwirtschaftet so 8,4 Milliarden Euro. Jeder dritte Euro wird also im Tourismus erwirtschaftet.

Arbeitsschutz sekundär

Da zählt jeder Tag. Ist also die Frage berechtigt, ob für die Adlerrunde die Party weitergehen musste? Hat die Landesregierung deshalb die Saison nicht sofort abgebrochen? Fest steht bei der Infektion mit Covid-19: Solange die Party weitergehen kann, ist der Arbeitsschutz sekundär.

Heute ist klar: Die veröffentlichte Chronologie des Landes Tirol stimmt nicht. Denn bereits im Februar hatten Mitarbeiter im Ischgler „Kitzloch“ grippeähnliche Symptome. Sie hatten vier Wochen lang gearbeitet, also war es möglich, dass sie die Infektion überstanden, aber zahllose Leute angesteckt hatten.

Übertragung unmöglich?

Bereits am 8. März musste das den Behörden bekannt gewesen sein. Klar wurde das durch den Mailverkehr mit den dänischen Gesundheitsbehörden. Doch damals hieß es: „Die Übertragung in einer Bar sei unmöglich.“ Meint Alois Schranz, der medizinische Leiter des Tiroler Krisenstabs.

Schranz ist kein Virologe, sondern Unfallchirurg und Geschäftsmann. Ihm gehören die Medalp-Kliniken. Dort werden vorrangig Skiunfälle behandelt – er hängt also am Tropf des Tourismus. Den Standort Imst stellte er für Corona zur Verfügung. Eine Unvereinbarkeit mit seiner Rolle im Krisenstab sieht er nicht. Die Skisaison wurde also erst am 16. März beendet, um noch die letzten Profite abzuschröpfen. Und wenngleich die Party beendet ist, liefert das System Tirol und stellvertretend Ischgl weiter: Tausend Seiten Bericht, 5.380 Kläger und 25 Todesopfer.

Doch sollten wir nicht nur über den mangelnden Arbeitsschutz oder die sozialen Verwerfungen durch die Pandemie reden – sondern auch darüber, dass auch schon davor nicht alles Halligalli war. Ischgl war kein Pech, wie LH Platter meint. Ischgl war eine Entscheidung, die bewusst zugunsten der Profite der Liftwirtschaft ausgefallen ist. Pech hat also Tirol. Pech mit einer Landesregierung, die Profitinteressen vor ein gutes Leben für alle reiht.

Pech mit einer Landesregierung, die eine Marionette des Bauern- und Wirtschaftsbundes ist. Pech mit einer Landesregierung, die von der Tiroler Adlerrunde gesponsert wird. 43 mächtige Unternehmen, die der Landesregierung ihre Wunschzettel senden kann. Unternehmen, die vor die Bevölkerung gereiht werden.

Symbol für Gigantismus

Ischgl ist nur ein Symbol für den Gigantismus in Tirol. Beim Ausbau der Skigebiete werden Umweltzerstörung und soziale Verwerfungen hingenommen. So findet etwa die Bevölkerung in den Dörfern kaum Arbeit. Eine ORF-Reportage zu Ischgl zeigte, dass viele Menschen auf Saison kommen. Überall aus Europa, Angestellte aus Osteuropa sind eben billiger. Allein deren Behandlung, sie sollen ja zum Dorfarzt gehen und sich ja nicht testen lassen, zeigt den Grad der Ausbeutung in den Tourismushochburgen.

Die Jugend zieht dabei oft ins Umland. Schließlich sprießen mit dem Massentourismus auch Zweitwohnsitze aus dem Boden, die Wohnungs- und Grundstückpreise nach oben treiben. In Kitzbühel liegt der Anteil der Zweitwohnsitze bei fast 40 Prozent, Miet- und Grundstückpreise sind die höchsten in ganz Österreich, die Löhne aber am niedrigsten. Seit 2001 hat Kitzbühel 500 Erstwohnsitze verloren, die Nachbargemeinde Oberndorf unterdessen fast 300 dazugewonnen.

Auf der einen Seite Gigantismus und endlos wachsende Profite, auf der anderen Seite mickrige Löhne und kaum Mitbestimmungsrechte der Lohnabhängigen in den Betrieben. Der Massentourismus hat nur ganz wenige Profiteure. Es ist an der Zeit, das System Tirol ganz klar zu überdenken, und zwar nicht nur nach Umweltstandards, sondern vor allem auch sozial! Wer das angehen will, muss die Tiroler Adler zum Absturz bringen.

Thomas Hörl ist Lehrkraft in Tirol und Aktivist der Gewerkschaftlichen Linken

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