Profit auf Kosten der Allgemeinheit

Johannes Greß zur Situation der Beschäftigten von Paketdiensten

In der Paketdienstbranche und bei Essenszustellern werden regelmäßig verheerende Arbeitsbedingungen publik. Das ist kein Zufall. Die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich machen genau das möglich.

Es sind Arbeitsbedingungen wie aus einer anderen Zeit: Bis zu 17 Stunden müssten osteuropäische Arbeiter:innen eines großen Paketdienstleisters in Österreich arbeiten, für kaum sechs Euro pro Stunde, berichtete unlängst der Standard. Ähnlich sieht es offenbar bei Essenszustellern aus. Dort sind es Sub-, Subsub- und Subsubsubunternehmer aus dem Iran und aus Afghanistan, die für wenige Euro pro Stunde im Auftrag eines großen Essenslieferdienstes ausliefern, wie Ö1 und DOSSIER unlängst berichteten.

Diese Fälle, mögen sie auch besonders krasse Beispiele sein, sind keine Einzelfälle. Und sie sind kein Zufall. Die politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich öffnen prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen Tür und Tor.

Selbständige Gewerbetreibende sind die Betroffenen nur auf dem Papier, meist sind sie organisatorisch und wirtschaftlich vollständig von ihren Auftraggebern abhängig, müssen sogar deren Logos und Kleidung tragen. Expert:innen sprechen von „Scheinselbständigkeit“, eigentlich handele es sich um ein reguläres Angestelltenverhältnis. Aber die Unterschiede zwischen einem Angestelltenverhältnis und der Selbständigkeit sind gravierend. Selbständige in den beiden Branchen erhalten keinen Stundenlohn, sondern werden pro Zustellung bezahlt. Arbeiten sie nicht, etwa im Urlaub oder wegen Krankheit, werden sie nicht bezahlt. Sie haben keinen Anspruch auf Mindestlohn, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld. Für ihre Arbeitsgeräte, etwa Transporter, Autos oder E-Bikes müssen sie selbst bezahlen.

Risiken abgewälzt

Für die Konzerne ist das ein profitables Geschäft, sie sparen sich die Sozialversicherungsbeiträge und die teuren „Unannehmlichkeiten“ eines Kollektivvertrags, wie einen Mindestlohn oder ein 13. und 14. Gehalt. Sie zahlen nur dann, wenn ihre Arbeiter:innen auch tatsächlich Leistung erbringen. Während Konzerne den Profit einstreichen, wälzen sie das ökonomische Risiko auf die Subunternehmer ab.

Forscher:innen der TU Wien schätzen in einer internationalen Fairwork- Studie, dass in der Essenszustellbranche selbständige Fahrer:innen gegenüber ihren fix angestellten Kolleg:innen nur rund die Hälfte beziehen – nota bene bekommen auch Letztere nur einen Mindestlohn von 1.730 Euro brutto monatlich. Für die Paketbranche analysierte die Arbeiterkammer Steiermark 2018: „Die Arbeits- und Lohnbedingungen bei den Zustellern der Subunternehmen bzw. für die Subunternehmer sind (…) durch eine weitestgehend nicht vorhandene betriebliche Vertretung schlechter gestellt.“ Dies sei auch „eine direkte Folge der Liberalisierungs-, Outsourcing-, Effizienzsteigerungs- und Umstrukturierungsprozesse der letzten Jahrzehnte“.

In beiden Branchen sind es große, internationale Konzerne, die Aufträge an Subunternehmen vergeben und diese wiederum an weitere Subunternehmen. Im Endergebnis unterbieten sich die miteinander konkurrierenden Sub-, Subsub- und Subsubsub-Auftragnehmer:innen gegenseitig – zum Vorteil des Konzerns und zum Leidwesen der Subunternehmen. Am Ende der Kette stehen die Arbeiter:innen, die den Konkurrenzdruck am heftigsten zu spüren bekommen.

Bei den Betroffenen handelt es sich nahezu ausschließlich um Migrant:innen. Sie sprechen oft kaum Deutsch, sind mit den (arbeits)rechtlichen Standards hierzulande wenig vertraut, ihre Abschlüsse werden oftmals nicht anerkannt, sie haben kaum Kontakt zu Gewerkschaften und Betriebsräte sind eine Seltenheit. Bei Asylwerber:innen kommt hinzu: Sie dürfen zwar kein reguläres Lohnarbeitsverhältnis eingehen, aber ein Gewerbe eröffnen. Im Juli 2021 kippte der Verfassungsgerichtshofs (VfGH) zwei entsprechende Regelungen, die Asylbewerber:innen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren. Arbeitsminister Martin Kocher (parteilos, auf ÖVP- Ticket) reagierte prompt: Per Erlass setzte er durch, die „strenge Praxis“ beizubehalten, wonach „Asylwerber keinen generellen Arbeitsmarktzugang haben. Vielmehr sind arbeitslose Inländerinnen und Inländer sowie Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte vorrangig zu ver- mitteln“, stellte Kocher via Aussendung klar.

Besonders in der Paketbranche gehen „Unternehmer:innen“ auffällig häufig insolvent. Es drängt sich der Eindruck auf, derlei Insolvenzen gehören zum Geschäftsmodell. Am Ende bleibt die Allgemeinheit auf den nicht bezahlten Gläubiger:innenforderungen, Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern sitzen – während der Konzern die Gewinne einheimst. Wie der Bericht über die AK-Vollversammlungen in dieser Nummer zeigt, liegen Rezepte und Lösungsvorschläge, um an dieser Situation etwas zu ändern, längst auf den Tisch – es kommt darauf an, ob Konsument:innen, Gewerkschaften und Gesetzgeber ein Interesse daran haben.

Johannes Greß ist freier Journalist

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