Hand in Hand

Josef Stingl über Fraktioniererei und Sozialpartnerschaft

Seit hundert Jahren gibt es die Arbeiterkammer. Die sozialdemokratischen Gewerkschafter*innen verbinden gerne deren Gründung mit dem Entstehen der Sozialpartnerschaft.

Nur, damals meinte der (sozialdemokratische) AK-Baumeister Ferdinand Hanusch: „Die Arbeiterkammer wird vor allem die Aufgabe haben, der Arbeiterklasse das Rüstzeug zu geben für den Klassenkampf.“ Wenn aber 1920 nicht die Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft war, wann dann?

25 Jahre später, kurz vor dem Sieg über den Faschismus, sahen Gewerkschafter*innen unterschiedlichen politischen Couleurs die Chance für einen einheitlichen, geschlossenen Gewerkschaftsbund. Johann Böhm (SPÖ), Lois Weingartner (ÖVP) und Gottlieb Fiala KPÖ) wurden noch vor Ende des 2. Weltkrieges zu den drei Gründungsvätern des überparteilichen ÖGB. „Dabei zählten das Argument und der Klassenstandpunkt, nicht die Fraktionszugehörigkeit“, analysierte Langzeitvorsitzender des Gewerkschaftlichen Linksblock im ÖGB Anton Hofer (1970 – 1989) anlässlich des 60. Geburtstags des ÖGB.

Antikommunismus statt ÖGB-Dreieinigkeit

Dem damaligen SPÖ-Parteivorsitzenden Adolf Schärf war diese Geschlossenheit ein Dorn im Auge. Er wollte mit der ÖVP koalieren. Da stand ein einheitlicher, klassenorientierter ÖGB im Weg. Sozialdemokratische Bestimmungshoheit durch Fraktionsbildung und Demokratieeinengung war da schon hilfreicher, um ihre Funktionär*innen in die großkoalitionäre Regierungs- und Kompromisspolitik einzubinden. „Damit war der Weg frei zur Politik der Sozialpartnerschaft“ so Anton Hofer, ebenfalls zu 60 Jahre ÖGB.

Dieses Instrument sollte den kapitalistischen Wiederaufbau erleichtern: Ohne großes Gemurre und ohne klassenkämpferischen Widerstand! Zahlen dafür durften die arbeitenden Menschen – mit insgesamt fünf Lohn- und Preispakten. Der offizielle Sprech des bösen Spiels: „Arbeiter und Unternehmer sitzen am selben Ast und wenn man den abschneidet, haben beide den Schaden und fallen herunter“, so der damalige ÖGB Präsident Johann Böhm.

Oktoberstreik und Putschlüge

Ganz ging diese Rechnung jedoch nicht auf. Trotz dieser „sozialistischen Beschwichtigungspolitik“ wurde der Widerstand gegen die Belastungspolitik weder eingedämmt noch gebrochen. Er wurde trotzdem größer und gipfelte 1950 beim vierten Lohn-Preisabkommen in die Oktoberstreiks.

Für die ÖGB-Führung kein Grund, ihren Kurs zu wechseln, weiter setzten sie auf Lohn-Preisabkommen, in Folge auf die Paritätische Kommission und antikommunistische Hetze. Die Oktoberstreiks wurden als kommunistischer Putschversuch diffamiert, die kommunistischen und streikbeteiligten Gewerkschafter*innen einschließlich mit dem kommunistischen ÖGB-Gründungsmitglied Gottlieb Fiala ausgeschlossen.

Ein besonderes Exemplar der Kommunistenhatz war der Bau-Holz-Gewerkschaftschef Franz Olah mit seinen Rollkommandos, die die Streikenden niederprügelten. Dafür wurde er später mit dem ÖGB-Präsidentensessel belohnt. Beim Ausschluss Gottlieb Fialas dauerte es dafür 65 Jahre bis sich die ÖGB-Führung bequemte ihn zu rehabilitieren.

Niedergang der Sozialpartnerschaft

Bis zum Niedergang der realsozialistischen Länder galt die Sozialpartnerschaft als ein weit unbestrittener Ordnungsfaktor des Systems. Doch, ohne der roten Rute vor dem Tor war es mit dem instrumentalisierten Verteilungsmechanismus „für das Kapital die Mehrheit, für die Mehrheit ein paar Brosamen“ rasch vorbei.

Statt ein bisschen vom gesellschaftlichen Reichtum abzubekommen, stand nur mehr die Abwehr des Sozialabbaus auf dem Programm. Selbst „Selbstverständlichkeiten“, wie die Anerkennung von Kollektivverträgen, der Acht-Stundentag, die Selbstverwaltung und, und, und wurden vom „Partner Wirtschaft“ in Frage gestellt. Und die schwarzblaue Regierung zeigte Sozialpartnerschaft und Sozialpartner ÖGB und AK überhaupt den Stinkefinger.

Alle sahen das, nur die Gewerkschaftsführung wollte es nicht wahrhaben. Sie bettelten, doch wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Erst Corona ließ ihr Bitten erhören. Es brauchte wieder einmal ein Instrument, das Druck aus der Politik der Belastungen heraus nimmt und Kurzarbeit, KV-Abschlüsse á la Sozialwirtschaft oder Post für Erfolgsgeschichten erscheinen lässt. Anderer „Erfolg“ der Sozialpartnerschaft die Odyssee des Laudamotion-KV.

Eine langfristige Restaurierung der Sozialpartnerschaft ist allerdings nicht zu erwarten. Bald herrscht wieder neoliberale Normalität und die nicht mehr notwendige Sozialpartnerschaft wird wieder entsorgt. Selbst Politologe Ferdinand Karlhofer ist beispielsweise überzeugt, dass die Renaissance mit Blick in die Vergangenheit ein Ablaufdatum hat.

Und der Gewerkschaftliche Linksblock?

Der GLB hat sich hat sich nie mit den vorgefundenen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnissen abgefunden. Er sah sich in ÖGB und Fachgewerkschaften als Sammelbecken klassenorientierter Gewerkschafter*innen und kritisierte immer die von der ÖGB-Spitze betriebene Politik der Sozialpartnerschaft. Denn sie führte zu einer Entpolitisierung und Entsolidarisierung sowie zum gegenseitigen Ausspielen von Arbeiter*innen, Angestellten und öffentlich Bediensteten, Männer und Frauen, Österreicher*innen und Ausländer*innen…

Josef Stingl ist Bundesvorsitzender des GLB und Mitglied des ÖGB-Bundevorstandes

Anhang: Apropos Paritätische

Die Paritätische Kommission für Preis- und Lohnfragen ist ein zentrales Instrument der österreichischen Sozialpartnerschaft und wurde 1957 zur „freiwilligen“ Zusammenarbeit der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände und der Regierung gegründet. Beteiligt sind Bundeswirtschafts-, die Landwirtschafts-, die Bundesarbeiterkammer, sowie der ÖGB. Sie ist weder in der österreichischen Bundesverfassung noch in anderen Gesetzen oder Verordnungen verankert und ihre Entscheidungen haben trotzdem jahrzehntelang die Politik in Österreich beherrscht.

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